Freitag, 24. Juli 2009

Und plötzlich verschwindet die jamaikanische Staffel

24. Juli 2009 Auf der Website des Jamaikanischen Leichtathletik-Verbandes (JAAA) läuft immer noch der Reggae-Song von Lloyd Lovindeer, dass es wohl die Luft, das Wasser und das gute Essen sein müssten, die Jamaikaner besonders schnell laufen lassen. Doch Hinweise verdichten sich, dass einigen jamaikanischen Sprintern – manche Nachrichten sprechen von zwei, manche von vier Männern sowie von einer Frau – der Einsatz von Doping-Substanzen nachgewiesen worden ist. Übereinstimmend wird gemeldet, Top-Athleten wie Usain Bolt und Asafa Powell, die am Freitag und Samstag beim Sportfest in London starten sollten, seien nicht betroffen. Gleichwohl verschwand die jamaikanische Sprint-Staffel, die sich an diesem Samstag unter Einsatz von Bolt und Powell mit der amerikanischen messen sollte, am Freitag überraschend von der Startliste der Veranstaltung in Crystal Palace.
Beim jamaikanischen Verband in Kingston wie beim Welt-Leichtathletikverband (IAAF ) in Monte Carlo wurden die Berichte weder bestätigt und noch bestritten. Der „Jamaica Observer“ beruft sich bei seinem Bericht über eine Handvoll positiver Fälle auf „hochrangige Quellen“. Es handele sich um zwei männliche Sprinter aus dem Pool für die 4×100-Meter-Staffel sowie eine Sprinterin, ebenfalls unter den besten sechs bei den Trials. Die zwei anderen Männer seien 400-Meter-Läufer, auch sie unter den ersten sechs und damit im Staffel-Pool für die Weltmeisterschaften, die am 15. August in Berlin mit den Sprint-Wettbewerben beginnen.Auch der „Jamaica Gleaner“ berichtet über positive Doping-Proben in der jamaikanischen Leichtathletik, weiß aber lediglich von mindestens zwei Fällen. Patrece Charles-Freeman, die Geschäftführerin der Jamaikanischen Anti-Doping Commission (Jadco), bestritt jede Kenntnis von Doping-Fällen. Aufgrund der Gerüchte, kündigte sie an, habe ihre Organisation aber eine Untersuchung eingeleitet. Howard Aris, Präsident des Jamaikanischen Leichtathletikverbandes und Mitglied der Jadco, bestritt ebenfalls, von Doping-Fällen zu wissen.
Namen von Athleten und Substanzen sind nicht bekannt
Die Proben sollen nach Informationen des „Observer“ von den jamaikanischen Trials vom letzten Juni-Wochenende stammen. Die Jadco habe knapp fünfzig Proben genommen. Diese seien in Montreal in Kanada analysiert worden. Die betroffenen Athleten sollten nach den Berichten an diesem Freitag informiert werden. Sie haben das Recht, eine Öffnung der B-Probe zu verlangen. Um welche Athleten und um welche im Sport verbotene Substanz oder Substanzen es sich handeln soll, ist nicht bekannt.
Die Sprinter aus Jamaika, einer Insel mit lediglich 2,7 Millionen Einwohnern, hatten bei den Olympischen Spielen im vergangenen Jahr für Staunen und nicht wenige Zweifel gesorgt, als sie fünf ihrer sechs Wettbewerbe gewannen – lediglich die Staffel der Frauen verlor den Stab und verpasste damit eine Medaille. Der 23 Jahre alte Usain Bolt siegte über 100 und 200 Meter und stellte dabei Weltrekorde von 9,69 und 19,60 Sekunden auf. Mit ihm gewann auch die jamaikanische Staffel (mit Nesta Carter, Michael Frater und Schlussläufer Powell) in Weltrekordzeit (37,10 Sekunden).
Auch den Sprint der Frauen dominierten Jamaikanerinnen. Shelly-Ann Fraser siegte über 100 Meter vor Kerron Stewart und Sherone Simpson, die, weil zeitgleich, beide eine Silbermedaille bekamen. Über 200 Meter wurde Veronica Campbell-Brown Olympiasiegerin. Die Frauenstaffel verlor, in Führung liegend, im Endlauf den Stab. Mit dem Olympiasieg von Melaine Walker über 400 Meter Hürden kam das jamaikanische Team in Peking auf sechs Gold-, drei Silber- und zwei Bronzemedaillen.
Nada soll formal unabhängig von Regierung und Sport sein
Der jamaikanische Sport machte sich umso verdächtiger, als seine Organisationen die Mitwirkung in der karibischen Anti-Doping-Agentur ablehnten. Im vergangenen Jahr erließ die Regierung deshalb ein Gesetz gegen Doping und aktivierte die vor drei Jahren gegründete Jadco. Den Vorsitz übertrug sie dem Rektor der Technischen Universität von Kingston, Errol Morrison. Das Budget von umgerechnet 500 000 Euro trägt das Ministerium für Information, Kultur, Jugend und Sport. Das Gesundheitsministerium soll eine Präventionskampagne unterstützen. Die Medizinerin Patrece Charles-Freeman ist an der Universität der Westindies in Kingston mit einer Arbeit über die Auswirkungen von Umweltverschmutzung durch Bauxitminen promoviert worden. Sie ist die Tochter von Arbeitsminister Pearnel Charles.
Chris Butler von der IAAF bestätigte, dass Jadco von seinem Verband und von der Welt-Antidoping-Agentur (Wada) anerkannt sei und, wie er sagte, so arbeite wie die Nada in Deutschland. Die Nada allerdings ist als Stiftung formal unabhängig von Regierung und Sport.
Auch Olympia-Doper Ben Johnsen ist gebürtiger Jamaikaner
Jamaikanische Verbandsvertreter und Trainer betonen stets, dass alle je des Dopings überführten jamaikanischen Athleten nicht in Jamaika lebten. Vor allem in den Vereinigten Staaten, so ihre Überzeugung, kämen sie mit verbotenen Mitteln in Kontakt. So lebte auch der vor einem Jahr bei den Trials mit dem Steroid Boldenone aufgefallene Sprinter Julien Dunkley in Nordamerika. Er ist für zwei Jahre gesperrt. Bei der Qualifikation vor den Olympischen Spielen 2004 wurde der Sprinter Steve Mullings des Testosteron-Dopings überführt. In Ermittlungen gegen einen Dealer sind die in den Vereinigten Staaten lebenden jamaikanischen Athleten Delloreen Ennis-London und Adrian Findley aufgefallen.
Sie sollen Wachstumshormon und Anabolika gekauft haben. Auch große Namen des jamaikanischen Sprints sind in Zusammenhang mit Doping zu nennen. Die dreimalige Weltmeisterin Merlene Ottey, die zuletzt für Slowenien startete, hatte 1999 eine auf das Steroid Nandrolon positive Doping-Probe; sie wurde wegen Verfahrensfehlern bei der Analyse der B-Probe nicht gesperrt. Ben Johnson, der für den wohl bekanntesten Doping-Fall der Olympischen Spiele sorgte, ist gebürtiger Jamaikaner. Er startete aber, auch bei seinem annullierten Olympiasieg in Seoul 1988, für Kanada.